Noch ein Comeback.

Ich will es wirklich versuchen, hier wieder regelmässig zu schreiben. Zuletzt habe ich es einfach nicht geschafft. Zu wenige Momente der Ruhe. Noch weniger Momente der Klarheit. Noch immer ein Dahintaumeln zwischen oben und unten, hell und dunkel.

Jetzt gibt es gerade keine Zweifel und Unschärfen mehr. Die Depression ist wieder da. Die altbekannten Gefühle. Erschöpfung. Die Hand an meiner Kehle. Die Angst vor den einfachsten Dingen. Und den Menschen. Die Panik. Die Zeiten, in denen nichts mehr geht außer am Boden zu liegen und an die Decke zu starren. Sich im Liegen festzukrallen, weil alles so bedrohlich wankt. Gleichzeitig die Hoffnung, das Gebäude könnte doch endlich einstürzen, der Boden sich erbarmen und mich verschlingen. Der nie versiegende Bach, der aus meinen Augen fließt. Ich bin nicht sicher, ob es Tränen sind. Ich weine nicht. Ich rinne einfach aus.

Die Depression – wer oder was ist das eigentlich? – hat mich wieder demütig gemacht. Mir scheint, wenn ich zu übermütig werde, zu selbstsicher, zu überzeugt davon, ich hätte eine Lösung, die Lösung gefunden, dann schaut sie mal wieder vorbei und gibt mir eins auf die Fresse. Nur nicht glauben, du hättest mich im Griff. Wer ist jetzt hier der Stärkere? 

Es erscheint mir wieder lächerlich, dass ich manchmal glaube, ich hätte diese Krankheit, dieses Phänomen jetzt durchschaut und mir diesen eitrigen Zahn gezogen. Genauso wie es mich gerade wieder unendlich wütend macht, mir kluge Ratschläge und populärpsychologische Floskel anhören zu müssen. Jaja, wir sind ja alle ab und zu ein bisschen depressiv, ich kenn das ja auch – da darf man den Kopf nicht hängen lassen. Muss sich ablenken. Freunde treffen. Bisschen Sport machen. Gut essen. Ist ja alles immer nur verdrängte Aggression. Bloß keine Medikamente nehmen, das ist ja nur eine Flucht. Du machst doch Yoga. Ein Indianer kennt keinen Schmerz. Mach doch mal eine Familienaufstellung.

Nix für ungut. All das hilft wahrscheinlich.
Auch mir manchmal.

Aber nicht, wenn ich es nicht mal schaffe, von der Couch aufzustehen. Also lasst mich doch bitte damit in Ruhe. Und auch mit euren Erklärungen. Ich glaube nicht mehr an die Depression, die Erklärung, die Lösung. Mehr glaube ich daran, dass es Menschen gibt, die aus unterschiedlichen Gründen so traurig sind, dass sie aus dem Leben fallen.

Medikamente. Ein Lösungsweg. Ein Lösungsweg? Gerade habe ich sie alle abgesetzt. Jetzt will Dr. B. wieder darüber diskutieren. Fällt schwer nicht zu denken, dass jetzt alles wieder von vorne anfängt.

0-0-0-1/3.

Nicht mehr lange. Dann hab ich es geschafft und bin den Weg, den ich im April eingeschlagen habe zu Ende gegangen. Dann bin ich völlig pillenlos. Nur ein kleines weißes Fitzelchen trennt mich noch von meinem Ziel. Ein Drittel einer Tablette.

Und ich lebe noch.

Im Moment geht es mir sogar richtig gut. Ich konnte in Wahrheit keine Veränderung feststellen. Außer dass die Nebenwirkungen, die mich phasenweise fertig gemacht haben, weniger und die Klarheit im Kopf größer wurde. Und naja, ich habe wieder – immer noch Probleme mit dem Schlafen. Aber ich nehme es einfach hin. Versuche darauf zu vertrauen, dass auch das eines Tages wieder möglich sein wird. Erinnere mich daran, dass nach den schlimmen Nächten immer irgendwann wieder eine gute folgt. Die dann umso schöner ist.

Zwischendurch gab es auch wieder richtig schlimme Tiefs. Und ganz ganz viele Zweifel. Darf ich das? Kann ich das? Bin ich nicht krank? Muss mich dem fügen, was die Ärzte diagnostizieren und prognostizieren? Brav meine Pillen schlucken? Katapultiert mich diese Kamikaze-Aktion wieder zurück in die Hölle? Ist sie eine weitere große Dummheit?

Letztlich hab ich immer durchgehalten. Irgendwo in mir drin hat der Glaube daran, dass mein Weg ein anderer ist, dass ich heilen kann, dass es auch Gesundes in mir gibt Wurzeln geschlagen. Manchmal habe ich dieses zarte Pflänzchen aus den Augen verloren. Dachte es sei längst überwuchert worden von den Disteln. Aber allmählich glaube ich, dass es nicht mehr so leicht ausgerottet werden kann.

Lasea und Equazen Pro nehme ich weiter. Ich habe das Gefühl, dass sie mir gut tun. Auch die Vitamine und Mineralien (B, C, Zink, Magnesium) bleiben. Alles andere muss gehen. Ein bisschen Angst habe ich davor, das Trazodon abzusetzen. Ich fürchte mich vor noch mehr schlaflosen Nächten und der Stimmungsverschlechterung, die oft damit einhergeht. Sobald ich das Gefühl habe, dass ich soweit bin, werde ich es aber wagen.

Dr. R. wird nicht begeistert sein. Ich bin noch unentschieden, ob ich den Termin mit ihm nicht einfach absagen soll. Ich will eigentlich nicht hören, was er dazu sagt. Ich kenne seine düsteren Prognosen ja schon. Ich will ihm aber nicht mehr glauben.

Bild: Hartmut910/pixelio.de

Jetzt erst recht: Akzeptanz.

Ich bin nach wie vor ziemlich geschlaucht. Aber allmählich wird mir klarer warum und wieso. Es ist kein Rückfall, kein Absturz. Es sind mal wieder ganz banale Nebenwirkungen. Seit ein paar Tagen nehme ich ein Antidepressiva (Trazodon), das mir helfen soll endlich wieder durchzuschlafen. Ich habe es früher schon genommen und bin gut damit zurecht gekommen. Allerdings habe ich damals auch antriebssteigernde Medikamente für den Morgen „danach“ bekommen und somit den Überhang nicht mitbekommen. Und Müdigkeit – auch tagsüber – ist nun mal die häufigste Nebenwirkung dieses Präparats.

Die Angst war also unbegründet. Doch jetzt ist das gefragt, was richtig schwer fällt: Geduld haben. Nach 2-3 Wochen sollte es besser werden. Solange kann ich mich jetzt also in dem üben, was sich also besonders heilsam herausgestellt hat: Akzeptanz. Annehmen, was gerade ist. Fällt immer schön leicht, wenn es einem gerade gut geht. Und wird unendlich schwierig, wenn gerade alles anders läuft als man sich das wünscht oder vorstellt. Aber wirkt zuverlässig gegen depressive Tiefs.

Inzwischen schmiede ich Pläne wie es weitergeht. Nahrung für meine Zuversicht, die gepäppelt werden will. Letztlich will ich ja weg von allen Medikamenten. Das neue Zeug ist nur ein Krückstock bis ich das alte Zeug (das mich nicht mehr schlafen lässt) los bin. Und damit ich irgendwann wieder alleine gehen kann, brauche ich noch mehr Stabilität. Wünsche mir Unterstützung und Wegbegleitung. Nach wie vor möchte ich es mit Ayurveda versuchen und habe erste Schritte in diese Richtung gesetzt. Und natürlich werde ich berichten.

Orientierungslos im Koordinatensystem.

Ich habe festgestellt, einer meiner größten Knoten liegt darin, dass ich nicht weiß, was richtig und was falsch ist. Ich schaffe es nicht, mich zu entscheiden. Denn meisten höre ich nicht auf das was ich fühle, sondern versuche alle anstehenden Fragen in meinem Hirn zu lösen. Durch analysieren, abwägen, den Rat anderer einholen usw. Und regelmässig strande ich dabei irgendwo im nirgendwo. Völlig planlos, hilflos. Verloren. Denn es gibt die eine richtige Antwort nur in den seltensten Fällen. Wohl aber gibt es Meinungen. Nur braucht man dazu ein Koordinatensystem. Bestehend vielleicht aus Werten, Erfahrungen, Bedürfnissen, Charakterzügen u.a. Und ich habe scheinbar kein Koordinatensystem. Mein Bezugsrahmen ändert sich ständig. Je nachdem von wem ich mich z.B. gerade habe beraten lassen. Und so finde ich natürlich nicht heraus, was FÜR MICH richtig oder falsch ist.

Im Moment ist das ein massives Problem für mich. Denn es gilt zu entscheiden, ob ich das Medikament, das mir zwar vielleicht irgendwie gut tut, mich aber gaga im Kopf macht, weiternehmen oder absetzen soll. Ob ich den vielen Stimmen glauben soll, die mir sagen, dass ich noch mehr Medikamente probieren muss, es ohne niemals schaffen kann. Oder jenen, die mir dazu raten, es doch mal ohne zu versuchen, es anders zu versuchen. Ich bin hin- und hergerissen, was richtig, was klug ist. Und komme dabei einfach nicht weiter. Ich weiß nicht, wem ich glauben soll.

Also habe ich mich jetzt entschieden es zu versuchen. Einfach mal meinem Bauch zu glauben. Und der mag keine neuen Medikamente mehr. Der ist es so leid, schon wieder Nebenwirkungen, Absetzerscheinungen, Umstellungsschwierigkeiten zu ertragen. Der ist so erschöpft von den vielen nutzlosen Versuchen in den letzten Monaten und Jahren. Er sagt mir: „Ich will das nicht mehr.“ Er sagte es sehr laut heute Nacht als ich schon wieder wegen meiner Durchschlafstörungen wach lag, die sich massiv verschlechtert haben, seit ich verschiedenste Pillen durchprobiert habe. Das viele Stochern in meinem Gehirn hat mir einfach nicht gut getan. Das ist Fakt.

Ich habe es also abgesetzt. Ich mache mich auf die Suche nach einem neuen Psychiater, der mir auch mal zuhört. Der meine Einwände und Wünsche nicht vom Tisch wischt. Ich nehme wieder Anlauf und versuche auf anderen Wegen Hilfe zu finden. Das ist alles andere als leicht. Durch die Übermüdung beuteln mich gerade heute wieder viele Zweifel, phasenweise bin ich so verwirrt und verzweifelt und müde und traurig, dass es mir die Kehle zuschnürt und mich die Gefühle vom Verlorensein überwältigen. Doch vorhin war ich kurz draußen spazieren, die Sonne hat mich ein bisschen gewärmt, die Frühlingsblumen haben ordentlich angegeben und um die Wette gestrahlt in bunten Farben. Und da war ich mir kurz ganz sicher: Das mein Körper und meine Seele heilen wollen. Langsam und sanft. Das ich die Kraft dazu in mir trage. Und dass sie nicht aus irgendwelchen Tabletten kommt.

Mein Therapeut, meine Ex-Therapeutin – alle reden auf mich ein und sagen immer wieder: Hör endlich mal auf dein Gefühl und lass den Kopf beiseite. Ok, ich wage es. Mal sehen, wohin mich dieser Weg führt.

Heute mal oben.

Heute ist ein guter Tag. Also muss er gewürdigt, wahrgenommen, ausgekostet, gefühlt werden. Viel zu oft gleitet mir das Gute durch die Finger und die Augen suchen schon wieder treffsicher das Schlechte, das Negative, das, was ich nicht kann, nicht geklappt hat, traurig macht. Dr. R. sagt, dass mein Hirn das halt so macht, weil ich depressiv bin. Ich kann also quasi nichts dafür. Trotzdem würde ich mein Hirn gerne umerziehen wie ein ungezogenes Kind und die Wahrnehmung für das Gute schärfen.

Was mich irritiert ist, dass ich nicht weiß, woran es liegt. Eigentlich wurscht, könnte man denken. Aber so einfach ist es nicht (ein Lieblingssatz aller Depressiven, oder?). Denn ich möchte wissen, ob es an meinem neuen Medikament liegt. Es ist die altbekannte Unsicherheit: Geht es mir jetzt besser wegen oder trotz meiner Medikamente?

Ich bin eigentlich nicht glücklich mit der neuen Medizin. Sie packt Watte in meinen Kopf und ich taumle ein bisschen durch meinen Alltag wie angeschwipst. Natürlich kann man so nicht mehr grübeln, was gut ist. Aber man kann auch nicht mehr richtig denken, was weniger gut ist. Außerdem plagen mich schon wieder Kreislaufprobleme. Morgens komme ich kaum aus dem Bett. Ich bin also alles andere als ein Fan dieses Zeugs, ich bin nach wie vor wütend und frustriert über die ständige Wechselei, die immer vorhandenen Nebenwirkungen… Ich habe sie satt die bunten Pillen und überlege seit Tagen, ob ich es nicht einfach mal ohne probieren soll. Zumindest ohne Zeug, das meinen Kopf taub macht wie einen eingeschlafenen Fuss.

Es könnte auch sein, dass es mir gut geht, weil ich endlich eine Ahnung habe, wo ich lang muss, damit ich wieder gesund werde. Ich komme mit meinen real vorhandenen Problemen voran. Ich sehe ein Licht am Ende des Tunnels – dieser riesigen Baustelle, die sich grad mein Leben nennt. Vielleicht geht es mir ja deshalb gut? Weil sich Knoten zu lösen beginnen?

Ich wills nicht zerbröseln, zerdenken. Ich nehme dieses Geschenk eines guten Tages und lasse es mir auf der Zunge zergehen. Wissen würde ich trotzdem gerne, ob es das Zeug war oder ich selbst.

Das Richtige tun.

Dr. R. ist nicht zufrieden mit meinen Fortschritten. Gar nicht, weil ich unseren Deal in Sachen Ausdauersport nicht eingehalten habe. Sondern, weil mich irgendetwas mich daran hindert, wirklich gesund zu werden. Eine magische Grenze, die wir beide nicht so recht verstehen. Mein Antrieb ist besser geworden, ich bin motiviert, ich will wieder am Leben teilnehmen, sehe einen Sinn. Und trotzdem geht es nur in Minischritten voran, werde ich ständig wieder zurückgeworfen. Kaum mache ich ein, zwei Dinge – auch wenn sie mir gut tun, wie z.B. das Ausdauertraining – bin ich sofort wieder extrem erschöpft, überfordert, schwermütig. Es ist als ob eine unsichtbare Mauer mich von einem Comeback ins Leben abhalten würde. Das ist extrem frustrierend und es macht mir Angst. Denn es ist, als hätte ich kein Mitspracherecht mehr bei der Entscheidung ob ich beim Leben wieder mitspielen darf oder nicht.

Und dann ist da noch das ständige Grübeln. Ständig kaue ich in meinem Kopf die ewig gleichen Fragen durch. Manchmal dominieren sie meine Gedanken und lassen gar keinen Platz für irgendetwas anderes, so sehr ich auch versuche, meine Konzentration abzuziehen. Manchmal laufen sie auch im Hintergrund ab. Es ist als ob meine Anwesenheit dazu gar nicht mehr nötig wäre – mein Kopf hat sich verselbständigt. Ich habe so oft über diese Dinge nachgedacht, dass mein Hirn es nun chronisch tut. Und das ist fürchterlich anstrengend.

Natürlich gefällt das Dr. R. nicht. Er hält es für zwanghaft. Und deswegen gibt es gegen meinen Grübelzwang mal wieder: neue Medikamente.

Das hat mich aus der Bahn geworfen. Schon wieder andere Pillen. Die Vorstellung, dass ich wieder durch eine Fülle von Nebenwirkungen, körperlichen und psychischen Beschwerden aufgrund der Umstellung muss, hat mich panisch gemacht. Ich habe in den letzten Monaten wirklich viel durchgestanden, was das betrifft. Phasenweise ging es mir durch die Medikamente deutlich schlechter als vorher. Sie haben mich aus der Bahn gekegelt. In den letzten Wochen hat sich mein Nervensystem endlich ein wenig beruhigt. Mir ist wieder eine Haut gewachsen. Ich hatte für mich beschlossen: keine neuen Medikamente mehr! Und jetzt alles wieder von vorne?

Dr. R. hat meine Bedenken einfach vom Tisch gewischt. Er ist kein Typ, der diskutiert oder seine Empfehlungen überdenkt. Er hat mir ein Rezept für zwei neue Medikamente in die Hand gedrückt, mich angewiesen zwei andere abzusetzen und mich vor die Tür bugsiert.

Und nun da stehe ich nun. Ziemlich hilf- und ratlos. Ich will vernünftig sein, keine Chance, gesund zu werden, auslassen, meinem Arzt vertrauen. Ja, ich habe gelernt, das manche Menschen in tiefer Depression eben Medikamente brauchen. Dass es nicht immer ohne geht. Und dass man viele ausprobieren muss, bis man das Richtige gefunden hat. Aber ich kämpfe auch mit dem Impuls, einfach alle Medikamente ins Klo zu werfen und es ohne zu versuchen. Die Nebenwirkungen, die Nachteile haben einfach schon zu oft überwogen. Bisher haben wir keine Erfolge mit Pillen erzielt. Ich bin doch therapieresistent – wozu den Mist also noch schlucken?

Und zwischen tausenden Fragen vor allem eine, ganz laut: Was ist das Richtige? Was macht mich gesund?

Ich glaube an die Wirksamkeit von Bachblüten, Homöopathie, Ayurveda, TCM usw. Und doch hab ich Angst, dass es mich in den Abgrund reissen würde, meine Medikamente abzusetzen und nur auf alternative Medizin und Yoga zu vertrauen. Meine Umgebung ballert mich voll mit guten Ratschlägen: „Geh doch endlich zum Familienstellen!“, „Konsultiere doch endlich meinen Heiler!“ ,“Fahr doch mal in Urlaub!“, „Meine Homöopathin kriegt dich wieder hin!“

Und jeder trägt seine Ratschläge so vor als wäre ich nur ein ungezogenes Kind, dass sich weigert, endlich sein Zäpfchen zu bekommen. Als wäre die Lösung ganz klar, alles ganz leicht. Als wäre ich ein bisschen selbst schuld, dass es mir noch nicht besser geht. Als wäre Depression eine Strafe, die man verdient hat, weil man nicht das Richtige tut.

Aber was ist das Richtige für mich?

Es ist als stünde man in einem Raum mit hundert Türen und man ahnt: Eine führt hier raus. Aber welche nehmen? Und: Ist es wirklich so einfach? Gibt es diese eine Sache, die uns gesund macht?

Ich gebe mir ein paar Tage Zeit um zu entscheiden, ob ich die neuen Medikamente nehme oder nicht. Ich versuche still zu werden und mein Bauchgefühl zu finden. Ich glaube, es ist klüger als ich.

 

Bittere Pillen.

Was meine Medikamente angeht habe ich eine höchst ambivalente Position. Oder vielleicht sogar eine Position mit einer multiplen Persönlichkeit. Denn eigentlich helfen sie mir ja offensichtlich nicht wirklich, die kleinen bunten Freunde. Ich bin – wie bereits mehrmals erwähnt – therapieresistent. Trotzdem nehme ich sie, trotzdem fällt es schwer, sie abzusetzen und gleichzeitig machen sie mir zu schaffen. Die Frage der Dosierung. Die Frage, ob die Nebenwirkungen nicht alles viel schlimmer machen. Ich hatte das ja schon hier geschildert. Ich hatte mich entschieden, zu reduzieren.

Das Thema Psychopharmaka ist wirklich schwierg und wird – z.B. in Online-Foren – höchst emotional diskutiert. Auf der einen Seite jene, die meinen, jeder Depression sei nur und allein mit Medkamenten beizukommen. Auf der anderen Seite der Schusslinie die andern, die meinen Antidepressiva würden nur überdecken, was gesehen und gefühlt werden müsse. Die Vorbehalte haben, sich mit Chemie vollzupumpen. Und ich stehe irgendwo dazwischen und bin unschlüssig. Ich bin nicht mehr so arrogant über Menschen zu urteilen, die sich für Psychopharmaka entscheiden. Ich habe selbst genug unter meiner Krankheit gelitten, dass ich von niemandem verlangen würde, ohne klarkommen zu müssen. Noch dazu wenn sie diesem Menschen vielleicht wirklich helfen. Denn ich würde das ja auch nicht von einem Menschen mit Bluthochdruck oder Diabetes verlangen. Und wenn ich ehrlich bin beneide ich diejenigen auch ein bisschen, die sich einfach ein paar Pillen einwerfen und dann aus dem dunklen See Depression auftauchen.

Gleichzeitig habe ich festgestellt, dass meine Depression erkennbare Gründe, mit meiner Persönlichkeit zu tun hat. Dass es Gefühle gibt, die gelebt werden wollen. Dass es Gedanken gibt, mit denen ich umgehen lernen muss. Dass es Erfahrungen gibt, die eine Kerbe in meine Seele geschlagen haben, die wieder geglättet werden kann. Und ich bin Yogalehrerin. Ich weiß, dass Yoga mehr zu einer Verbesserung meiner Situation beigetragen hat als irgendetwas sonst. Ich behandle also meine Rückenschmerzen nicht mit Tabletten, sondern mit Asanas. Ich greife bei Halsschmerzen zu Salbeibonbons und nicht zu Lutschtabletten. Ich bin also alles andere als begeisterte Kundin der Pharmaindustrie.

Nun ist es so, dass meine Absetzerei mir wirklich zu schaffen macht. Ich kann seit fast zwei Wochen nicht richtig schlafen. Und die Erschöpfung macht mich traurig und depressiv. Ich habe Angst vor einem Rückfall in das ganz tiefe Loch. Ich zwinge mich aber zum Durchhalten, etwas in mir sperrt sich dagegen, evtl. doch wieder zu meinem Schlafmittel zu greifen. Es fühlt sich an wie aufgeben, wie ein Rückschritt, wie ein Scheitern. Aber ich zweifle auch daran, ob dieses Verhalten sehr weise ist. Dr. B., mein Therapeut, meinte heute, ich solle mir mal überlegen, ob da nicht wieder mein vorlautes Über-Ich zu mir sprechen und mir strenge Anweisungen geben würde, die mir schaden. Und ich frage mich, ob er recht hat. Ich weiß es nicht. Es ist schwierig zu entscheiden, was echte Fürsorge bedeutet. Medikamente ja oder nein. Darf man als Yogalehrerin überhaupt Antidepressiva nehmen? Oder gehört es zur Weisheit dazu, alle Hilfe in Anspruch zu nehmen, die einem zur Verfügung steht? Und weniger darüber zu urteilen, ob man das darf oder nicht? Liegt die Wahrheit nicht – wie immer – irgendwo zwischen den verhärteten Fronten? Und wo genau liegt meine individuelle Wahrheit in dieser Sache?

Und was nimmst du so?

Wenn Menschen mit psychischen Erkrankungen aufeinandertreffen werden üblicherweise zwei Informationen sehr schnell ausgetauscht: Welche Diagnose hast du? Welche Medikamente nimmst du? (So wie in anderen Gruppen eben am Anfang die Frage nach dem Auto, das man fährt, oder der Geldanlage, die man bevorzugt, steht.)

Die erste Frage habe ich ja bereits beantwortet. Die zweite auch schon so halb. Dass ich als therapieresistent gelte heißt ja, dass mir Medikamente wenig bis gar nicht helfen. Ich nehme trotzdem welche. Hat man einmal damit angefangen ist es sehr schwierig wieder damit aufzuhören. Nicht, weil man süchtig wäre. Sondern, weil einem sofort eine Menge Fragen und Ängste durch den Kopf schießen, wenn man über das Absetzen nachdenkt: Geht es mir dann schlechter? Oder gleich schlecht? Oder besser, weil ich nicht mehr mit den Nebenwirkungen zu kämpfen habe? Geht es mir doch deshalb gut, weil ich die Medikamente nehme? Oder liegt es an den anderen Maßnahmen und ich könnte genauso gut ohne die Pillen? Fragt man dann noch (s)einen Psychiater ist meist völlig klar, dass Menschen wie ich Medikamente brauchen. Therapieresistent hin oder her.

„Vielleicht haben wir auch nur noch nicht das richtige Medikament für Sie gefunden.“ Ein Psychiater vertraut seinem Werkzeug. Und so habe ich in den letzten Jahren einen ganzen Medizinschrank voller Tabletten ausprobiert. Pram, Ixel, Cipralex, Trevilor, Trittico, Xanor, Dominal, Mirtazapin, undundund. Bis es mir vor einigen Wochen gereicht hat. Ich wurde aus heiterem Himmel von den schlimmsten Panikattacken meines Lebens heimgesucht und musste mich immer wieder – ebenso völlig unberechenbar – übergeben. Mein ganzer Körper zitterte ständig und fühlte sich an als hätte man mir die Haut abgezogen. Ich hatte das Gefühl mein Nervensystem wäre am durchdrehen. Und ich spürte, dass auch die vielen Medikamente etwas damit zu tun haben. Das ständige Wechseln, Absetzen, Anfangen.

Also habe ich beschlossen: keine neuen Medikamente mehr. Und die, die ich nehme, werden reduziert. Natürlich habe ich das nicht einfach so und von einen Tag auf den anderen gemacht, sondern in Absprache mit meinem Psychiater. Er stellte mir frei, wie hoch ich eines der drei Medikamente dosieren wollte – den Rest sollte ich bitte vorerst so weiternehmen, wie gehabt. Na gut. Das war ein Anfang. Und so habe ich begonnen Dominal, ein Neuroleptikum, das mir beim Schlafen geholfen hat, zu reduzieren. Sehr langsam und vorsichtig. Wenn es mir nicht gut ging, bin ich erstmal bei der aktuellen Dosis geblieben. Wenn ich mich stärker fühlte, habe ich wieder reduziert. Seit zwei Tagen nehme ich es gar nicht mehr und freue mich wirklich, dass ich das geschafft habe. Denn es geht mir deutlich besser. Das mag nicht nur auf diese eine Tatsache zurückzuführen sein, aber ich bin überzeugt, dass es damit zu tun hat. Ich habe wieder mehr Verantwortung für meine Gesundheit übernommen, ich habe meinem Gefühl, meiner Intuition vertraut. Das alles ist gut. Und im Zuge des Absetzens habe ich gut gelernt, auch mal mit ein paar schlechten Nächten, in denen ich kaum schlafen kann, umzugehen.

Die beiden anderen Medikamente – Stablon und Valdoxan – nehme ich einstweilen weiter. Und ich kann das akzeptieren. Aber das Ziel ist für mich ein Leben ohne Medikamente. Denn in meinem Fall kann ich mit Sicherheit sagen, dass es nicht ein Ungleichgewicht in meinem Kopf ist, das meine Probleme auslöst. Sondern ein Ungleichgewicht im Leben, das phasenweise viel Durcheinander – auch in meinem Kopf – produziert.

 

Bild: Andrea Damm/pixelio.de